Wenn Hunde uns spiegeln – Was ihr Verhalten über uns verrät
- Antje Homfeldt

- 11. Sept. 2023
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Juli

„Wie der Hund, so das Herrchen“ – diesen Satz hört man oft, und tatsächlich steckt mehr Wahrheit darin, als man zunächst vermuten würde. Wer mit einem Hund zusammenlebt, weiß: Die Verbindung zwischen Mensch und Tier ist tief, intensiv und oft erstaunlich synchron. Hunde beobachten uns den ganzen Tag, nehmen unsere Stimmungen auf, passen sich an – und manchmal übernehmen sie sogar Aufgaben, die eigentlich uns zustehen würden.
Spiegelneuronen und Nachahmung: Warum Hunde uns so gut lesen
Hunde leben eng mit uns zusammen. Sie sehen, hören und spüren uns – und das nicht nur oberflächlich. Ihre Fähigkeit, unsere Emotionen zu erkennen, basiert unter anderem auf sogenannten Spiegelneuronen. Diese ermöglichen es ihnen, unsere Gefühle zu „fühlen“, unser Verhalten zu imitieren und sich emotional auf uns einzustellen.
Wenn wir gestresst nach Hause kommen und noch schnell mit dem Hund rausmüssen, kann es passieren, dass sich unsere Ungeduld überträgt. Vielleicht zieht der Hund an der Leine, vielleicht wirkt er nervös. Doch manchmal passiert das Gegenteil: Der Hund wird langsamer, blockiert sogar. Als würde er sagen: „Du gefährdest dich gerade selbst – ich halte dich auf.“ In einer Hundegruppe wäre dieses Verhalten gar nicht ungewöhnlich. Hunde regulieren sich gegenseitig – und uns.
Wahrnehmung als Spiegel unserer inneren Welt
Unsere Wahrnehmung ist wie ein Spiegel, der nicht die objektive Realität zeigt, sondern das, was wir innerlich bereit oder fähig sind zu sehen. Wir nehmen die Welt nicht direkt wahr, sondern durch die Brille unserer Erfahrungen, Glaubenssätze und emotionalen Muster. So sehen wir oft nur das, was wir sehen wollen – oder was unser inneres System uns erlaubt zu sehen. Ein Hund, der sich zurückzieht, wird vielleicht als „uninteressiert“ gedeutet, obwohl er uns Raum für unsere eigenen Gefühle geben möchte. Ein Hund, der bellt, wird als „problematisch“ empfunden, obwohl er unsere innere Unruhe spiegelt. In Wahrheit zeigt uns der Hund nicht nur sein Verhalten – sondern auch unser eigenes Inneres. Wenn wir bereit sind, diesen Spiegel zu betrachten, können wir nicht nur unseren Hund besser verstehen, sondern auch uns selbst.
Das System der InnereN Familie (IFS) – Was in uns wirkt
Das Modell der Inneren Familiensysteme (IFS), entwickelt von Richard C. Schwartz, geht davon aus, dass unsere Psyche aus verschiedenen „Teilen“ besteht – wie eine innere Familie. Diese Teile haben unterschiedliche Rollen:
Manager: Kontrollieren und organisieren, um Schmerz zu vermeiden.
Feuerbekämpfer: Reagieren impulsiv, wenn alte Wunden drohen aufzubrechen.
Verbannte: Tragen tiefe Verletzungen und werden von den anderen Teilen geschützt.
Selbst: Der ruhige, mitfühlende Kern voll Liebe, Zuversicht und Vertrauen, unser wahres Selbst, das alle Teile führen und beruhigen kann.
Wenn wir durch das Verhalten unseres Hundes getriggert werden, ist oft ein innerer Teil von uns aktiv – vielleicht ein ängstlicher Anteil, der sich einmal bedroht gefühlt hat und diese Angst immer noch in sich trägt, oder ein innerer Kritiker, der uns antreibt, perfekt zu sein aus Sorgen, aus der Wertschätzung zu fallen oder bestraft zu werden. Der Hund reagiert nicht nur auf unser äußeres Verhalten, sondern auf die energetische Präsenz dieser inneren Teile.
Achtung: Wenn du in deiner Biografie überwältigende, traumatische Erfahrungen gemacht hast, suche dir eine professionelle Begleitung bei der Erforschung deines inneren Erlebens.
Wenn der Hund unser Inneres spiegelt – Alltagsbeispiele

1. Leinenaggression bei Hundebegegnungen
Situation: Dein Hund bellt und zieht stark an der Leine, sobald ein anderer Hund auftaucht. Du wirst nervös, versuchst ihn zu beruhigen oder wirst selbst laut.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund reagiert auf deine innere Anspannung. Vielleicht spürt er deine Unsicherheit oder Angst vor Kontrollverlust.
Er übernimmt die Rolle des „Feuerbekämpfers“ im IFS – er will die Situation „lösen“, weil dein inneres System gerade überfordert ist.
IFS-Perspektive:
Ein innerer Teil von dir hat vielleicht Angst, nicht gut genug zu sein oder abgelehnt zu werden, wenn der Hund sich „danebenbenimmt“.
Der Manager-Teil versucht, Kontrolle zu behalten – durch strenge Kommandos oder Vermeidung.
mögliche Lösung:
Versuche etwas Raum zwischen dir und dem Teil entstehen zu lassen, nimm ihn bewusst wahr.
Zeig ihm, dass du ihn siehst und atme bewusst ruhig zu ihm hin, bis er sich entspannt
2. Der Hund zieht sich zurück, wenn du traurig bist
Situation: Du bist emotional belastet, vielleicht traurig oder erschöpft. Dein Hund wirkt distanziert, zieht sich zurück oder beobachtet dich nur aus der Ferne.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund spürt deine emotionale Tiefe und reagiert mit Rückzug – vielleicht, weil er nicht weiß, wie er dir helfen kann.
Er zeigt dir, dass du gerade Raum brauchst. Nimm dir Zeit für dich.
IFS-Perspektive:
Ein innerer „Verdrängungsmanager“ könnte aktiv sein, der dich davon abhält, deine Gefühle zuzulassen.
Dein Hund spiegelt diesen Teil, indem er ebenfalls vermeidet.
mögliche Lösung:
Erlaube dir, deine Emotionen zu fühlen.
Nimm sie war als Teil von dir der traurig oder einsam ist.
Versuche diesem Teil mit etwas Abstand zu begegnen, damit du ihn sehen und verstehen kannst.
3. Der Hund ist überdreht, wenn du Besuch bekommst
Situation: Besuch kommt, du bist angespannt, willst, dass alles gut läuft. Dein Hund springt, bellt, ist kaum zu beruhigen.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund spürt deine innere Unruhe und übernimmt die Rolle des „Entertainers“ oder „Beschützers“.
Er zeigt dir, dass du selbst gerade nicht ganz bei dir bist – sondern versuchst, Erwartungen zu erfüllen.
IFS-Perspektive:
Ein innerer Teil von dir will gefallen, perfekt sein – vielleicht aus Angst vor Ablehnung oder die Sehnsucht nach Anerkennung.
Dein Hund spiegelt diesen Teil, indem er überperformt.
mögliche Lösung:
Mach dir bewusst, dass du mehr bist als der Teil in dir.
Nimm Kontakt zu deinem inneren „Perfektionisten“ auf, beruhige ihn.
Dein Hund wird sich entspannen, wenn du dich selbst nicht mehr unter Druck setzt.
4. Der Hund ignoriert dich beim Spaziergang
Situation: Du sprichst deinen Hund an, aber er reagiert kaum. Du wirst frustriert, zweifelst an dir oder am Hund.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund zeigt dir, dass du gerade nicht klar und präsent bist. Vielleicht bist du innerlich abgelenkt oder unsicher.
Du bist nicht bei dir selbst.
IFS-Perspektive:
Ein innerer Kritiker könnte aktiv sein, der dich antreibt oder abwertet.
Dein Hund reagiert auf diese Energie mit Widerstand oder Rückzug.
mögliche Lösung:
Mach dir deinen Anteil bewusst und bring etwas Raum zwischen euch. .
Sprich liebevoll mit ihm. Spüre wie ihn das entspannt.
Dann geh mit diesem Gefühl weiter. Versuche die Verbindung zu dir nicht zu verlieren.
5. Der Hund kann nicht alleine bleiben
Situation: Sobald du das Haus verlässt, beginnt dein Hund zu jaulen, zu bellen oder zerstört Gegenstände. Er wirkt panisch und rastlos, selbst wenn du nur kurz weg bist.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund zeigt dir vielleicht deine eigene Angst vor dem Verlassenwerden oder Kontrollverlust.
Er spiegelt möglicherweise einen inneren Anteil, der sich nicht sicher fühlt, wenn du „nicht da“ bist – emotional oder energetisch.
IFS-Perspektive:
Ein innerer „verlassener Anteil“ könnte aktiv sein – vielleicht ein Anteil, der früher allein gelassen wurde und sich hilflos fühlte.
Der „Manager“ in dir versucht, die Kontrolle zu behalten – durch Routinen, Kameras oder Beruhigungsversuche.
Dein Hund übernimmt die Rolle des „Wächters“ – er will dich zurückholen, weil dein System in Alarmbereitschaft ist.
mögliche Lösung:
Mach dir bewusst, dass es diesen Teil in dir gibt. Bring etwas Raum zwischen dich und den Anteil. Atme ruhig und sanft zu ihm. Vielleicht entspannt ihn das ein wenig.
Übe bewusstes Loslassen – auch während du zu Hause bist. Dein Hund wird lernen, dass du für dich selbst sorgen kannst, wenn du selbst innerlich stabil bleibst.
6. Aggressives Verhalten gegenüber Menschen oder Hunden
Situation: Dein Hund zeigt plötzlich aggressives Verhalten – knurrt, bellt oder schnappt bei Begegnungen mit anderen Hunden oder Menschen.
Spiegel-Interpretation:
Dein Hund reagiert auf eine innere Bedrohung in dir – vielleicht spürt er deine Unsicherheit, Angst oder unterdrückte Wut.
Er übernimmt die Rolle des „Kämpfers“, weil du selbst gerade nicht in deiner Kraft bist.
IFS-Perspektive:
Ein innerer „Feuerbekämpfer“ ist aktiv – er will eine potenzielle Gefahr abwehren, bevor sie dich verletzt.
Vielleicht ist auch ein „verletzter Anteil“ in dir wach, der sich früher nicht verteidigen konnte – und dein Hund übernimmt diese Aufgabe jetzt.
mögliche Lösung:
Erkenne deine innere Wut oder Angst an, ohne sie zu verdrängen.
Bring etwas Raum zwischen dich und den Anteil. Lass ihn wissen, dass du da bist.
Versuche innerlich stabil zu bleiben, wenn dein Hund Aggression zeigt, lass dich nicht von den Emotionen wegreißen.
Dein Hund wird sich entspannen, wenn du deine innere Sicherheit wiederfindest
Selbstführung statt Reaktion
IFS zeigt uns, dass wir nicht nur unsere Teile sind – sondern dass wir sie liebevoll führen können. Wenn wir in Kontakt mit unserem Selbst kommen, können wir:
Unsere Trigger erkennen und verstehen
Wenn wir beginnen unsere Teile wahrzunehmen, entsteht Raum - wir selbst werden präsent
So können wir mit unseren Teilen in Kontakt treten und sie beruhigen..
Vielleicht können wir erkennen, dass unser Hund ähnliche Anteile wie wir in sich trägt und ihn so mit mehr Mitgefühl begleiten.
Statt zu schreien, zu strafen oder zu kontrollieren, können wir lernen, in schwierigen Momenten präsent zu bleiben. Unser Hund wird es spüren – sich entspannen und den Kontakt zu uns halten.
Fazit: Hunde als Wegweiser zur inneren Heilung

Hunde sind mehr als treue Begleiter – sie sind emotionale Spiegel, Co-Therapeuten und ehrliche Rückmelder. Sie zeigen uns, wo wir uns selbst noch nicht sehen wollen, wo wir uns entwickeln dürfen und wo wir lernen können, Verantwortung zu übernehmen.
Wenn wir bereit sind, ihr Verhalten nicht nur zu korrigieren, sondern zu verstehen, beginnt eine tiefere Reise – zu uns selbst und zu unserer inneren Familie. Verhalten als Spiegel unserer inneren Welt
Quellen: vgl. "Das System der inneren Familie", Richard C. Schwartz, IFS Institut München - Fortbildungen in Systemischer Therapie & Innerer Familie



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