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  • AutorenbildAntje Homfeldt

Balljunkie - wenn aus Spaß eine Sucht wird

Aktualisiert: 4. Apr. 2021

Unsere Tage sind kurz. Schnell noch mit dem Hund raus. Das schlechte Gewissen nagt. "Werde ich ihm überhaupt gerecht? Aber er hat ja seinen Ball. So kann ich ihn zumindest auslasten und er hat ja solchen Spaß dabei." So oder so ähnlich denken wohl viele Menschen und auch ein Blick in die Tierhandlung oder in Online Netzwerke suggeriert, dass es wichtig und gut ist den Hund so richtig auszupowern. Doch schauen wir einmal genauer hin.


Die Jagd wirkt selbstbelohnend


Das Hetzen einer Beute, sei es ein Reh oder Ball, ist ein Teil der Jagd. Es wirkt selbstbelohnend, egal ob der Jäger die Beute bekommt oder nicht. Das ist auch wichtig, sonst würde er das Jagen im Fall eines Misserfolges irgendwann einstellen. Das wäre natürlich fatal. Wilde Caniden jagen allerdings entgegen landläufiger Meinung nur sehr selten, im Schnitt ein bis zwei mal in der Woche und vor allem nicht mehrmals hinter einander. Ansonsten begnügen sie sich mit Mäusen und anderen Kleintieren. Die meiste Zeit des Tages verbringen sie mit schlafen und dösen. Raubtiere verschwenden keine wertvollen Ressourcen und Energie. Das wäre dumm und genau hierfür ist ihr Hormonsystem auch ausgestattet. (vgl. Hallgreen 2017, S. 92)



Was passiert im Körper bei der Jagd?


Zunächst einmal wird das Stresssystem aktiviert. Adrenalin und Cortisol werden freigesetzt und sorgen dafür, dass sofort viel Energie zur Verfügung steht. Alle übrigen Stoffwechselprozesse werden herunter gefahren. Gleichzeitig wird der Jäger in eine Art Rauschzustand versetzt. Vor allem die Ausschüttung von Dopamin ist dafür verantwortlich, dass der Hund diesen Kick immer wieder sucht. Werfen wir den Ball, Stock oder Frisbee dann mehrmals hintereinander und womöglich fast täglich, kommt es zu einem Prozess, wie wir ihn bei Alkoholikern und Drogenabhängigen kennen. Der Hund kann an nichts anderes mehr denken. Er braucht den Ball immer und immer wieder. Der Junkie ist entstanden. (vgl. O'Heare 2017, S. 34)


Folgen der Sucht


Das Stresshormon Cortisol ist erst nach bis zu 48 Stunden vollständig abgebaut. Spielen wir also täglich mit dem Ball, befindet sich der Körper im Dauerstress. Es ist eine Art Überlebensprogramm für den Notfall, dementsprechend erschöpft der Organismus und wird dauerhaft krank. Gleichzeitig merkt man dem Hund an, dass er immer schwerer zur Ruhe kommt, er fiept und winselt häufiger. Möglicherweise treten erste Aggressionsprobleme auf. Herrchen und Frauchen werden angerempelt, angebellt, fixiert - bis sie es endlich wieder tun. Sein Blick spricht Bände. Seine Gedanken kreisen nur noch um das eine Ding. Sozialkontakte spielen kaum noch eine Rolle. Im Zweifel werden alle Artgenossen angegangen, die sich seinem Suchtobjekt nähern. Unwichtige Prozesse wie Nahrungsaufnahme, Verdauung und Schlaf werden hinten angestellt. Ist kein Ball verfügbar, tut es auch ein Stock. Viele Hunde reagieren im weiteren Verlauf auch auf andere Bewegungsreize, jagen Wasserreflexe oder wiegendes Gras. Manche zeigen andere Zwangshandlungen. Eine traurige Karriere. (vgl. Hallgren 2017; vgl. O'Heare 2017)

Leider ist auch der Bewegungsapparat für die häufigen Stopps und Überschläge nicht geeignet. Probleme mit Gelenken, Bandscheibe, Wirbelsäule und Muskulatur sind Folgen, die sich oft erst im späteren Leben zeigen. Die Jagd auf Stöcke bringt ebenso häufig schwere Verletzungen mit sich.


Und nicht nur das. Für deinen Hund bist du inzwischen nur eine anonyme Wurfschleuder. Wenn du denkst, dass dein Hund gut auf dich achtet, während du den Ball trägst, dann versuch doch mal folgendes: Gib ihn irgendeiner fremden Person und lass sie werfen! Was denkst du, was passiert?


Einmal Junkie - immer Junkie?


Besonders schnell werden Hütehunde und Jagdhunde abhängig. Andere Hunde, die sehr energiegeladen und expressiv sind, sind ebenfalls sehr bald in der Abwärtsspirale, während sehr ruhige phlegmatische Hunde und Hunderassen grundsätzlich eher weniger dazu neigen. Dennoch sollte man Vorsicht walten lassen, denn das Rad lässt sich nicht zurück drehen. Wer einmal an der "Flasche" hängt, wird es immer wieder tun, sobald der Ball fliegt.

Was also tun, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt? Der komplette Verzicht auf alle Wurfgeschosse führt für den Hund zum kalten Entzug. Er wird also erstmal weiter fordern und gestresst sein. Ich empfehle, die Rate langsam zu reduzieren und für ausreichend Entspannung zu sorgen. Lange Spaziergänge in ruhiger Umgebung, nur du und dein Hund. Intensiver Kontakt im Hier und Jetzt. Ruhe aushalten lernen. Auf einer Wiese chillen. Einfach mal nichts tun.

Suchen statt Jagen


Die Suche nach einem Futterbeutel kann eine sinnvolle Aufgabe sein, bei der er sich konzentrieren muss und die die Zusammenarbeit fördert. Grundsätzlich sind alle ruhigen Tätigkeiten geeignet. Entgegen aller Auslastungsmodelle gilt:


Je ruhiger der Alltag, umso entspannter der Hund.


Die meisten Hunde sind heute derart überreizt, dass man sich über eine weitere Auslastung tatsächlich nicht viele Gedanken machen muss. Das gilt insbesondere für die sogenannten Arbeitslinien. Wenn also dein Hund immer hibbeliger und nervöser wird, lohnt sich vielleicht der Ausstieg aus dem Auslastungs-Hamsterrad und ein Blick auf die Gewohnheiten seiner wilden Artgenossen.


Quellen:

Hallgren, A. (2017): Stress, Angst und Aggression bei Hunden. Cadmod Verlag

O'Heare, J. (2017): Die Neuropsychologie des Hundes. Animal Learn Verlag


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