Wenn dein Hund dir überallhin folgt – Liebe oder Kontrolle?
- Antje Homfeldt
- 4. Apr. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Juli
Ein Verhalten, das wir oft missverstehen
Viele Hundehalter kennen es: Der Hund folgt einem auf Schritt und Tritt durch die Wohnung. Vom Wohnzimmer in die Küche, vom Bad ins Schlafzimmer – immer dabei. Und oft wird dieses Verhalten als Ausdruck tiefer Zuneigung interpretiert.
Doch so liebevoll es wirkt, steckt oft etwas anderes dahinter: Kontrollverhalten. Dein Hund glaubt, dich unterstützen zu müssen, weil er dir kein eigenständiges Leben zutraut. Und das kann weitreichende Folgen haben – drinnen wie draußen.
Dein Hund als Spiegel deiner inneren Haltung

Hunde sind feinfühlige Beobachter. Sie nehmen unsere Körpersprache, Stimmung und Energie intensiver wahr als wir selbst. Wenn dein Hund dich kontrolliert, kann das ein Spiegel deiner eigenen Unsicherheit oder Unklarheit sein.
Fühlst du dich oft gestresst oder überfordert?
Bist du innerlich unruhig, auch wenn du äußerlich ruhig wirkst?
Fällt es dir schwer, klare Grenzen zu setzen?
Dein Hund reagiert auf all das. Er übernimmt Verantwortung, wenn du sie nicht ausstrahlst – nicht aus Dominanz, sondern aus Fürsorge. Doch diese Rolle überfordert ihn.
Das Paradoxon: Kontrolle drinnen – Eigenständigkeit draußen
Kontrollverhalten ist kein Fehler deines Hundes – sondern ein Hinweis. Ein Spiegel. Eine Einladung, dich selbst zu hinterfragen und zu wachsen.
Gründe für Kontrollierendes Verhalten
🐶 Unsicherheit in der Prägungsphase
Ein Welpe orientiert sich stark an seinem Menschen. Wird dieses Verhalten nicht sanft begrenzt, lernt er: „Ich muss immer dabei sein – sonst passiert etwas.“
🎁 Konditionierung durch Belohnung
Wenn der Hund gelernt hat, dass Nähe zu dir mit Spiel, Futter oder Aufmerksamkeit verbunden ist, folgt er aus Erwartung – nicht aus Vertrauen.
🤲 Ständige Verfügbarkeit
Ein Hund, der jederzeit Nähe einfordern darf und immer belohnt wird, übernimmt die Verantwortung für Verbindung – und verliert die Fähigkeit zur Ruhe.
👣 Körperkontakt als Kontrolle
Sich auf deine Füße zu legen oder dich zu blockieren ist kein Kuscheln – sondern Kontrolle. Dein Hund will sicherstellen, dass er nichts verpasst.
🧬 Charakterliche Veranlagung
Manche Hunde bringen von Natur aus ein hohes Maß an Wachsamkeit und Verantwortungsbewusstsein mit. Ohne klare Führung übernehmen sie selbst das Kommando.
So gehst du vor – klare Körpersprache statt Kommandos
Du möchtest deinem Hund vermitteln: „Ich bin eigenständig. Du musst mich nicht begleiten oder bewachen.“ Das gelingt durch ruhige, klare Körpersprache und konsequente Abgrenzung.
Deine Haltung ist entscheidend:
Bewege dich durch die Wohnung, ohne deinen Hund zu beachten.
Vermeide Blickkontakt – er lädt zur Interaktion ein.
Vermeide unbewusste Belohnungen durch Aufmerksamkeit oder Ansprache
Sprich deinen Hund bewusst an, wenn du etwas von ihm möchtest
Geh zur Toilette oder in einen anderen Raum, ohne Kommentar oder Einladung.
Wenn dein Hund aufsteht, stelle dich ruhig und aufrecht in seinen Weg, ohne ihn anzusehen. Warte, bis er sich wieder hinlegt, dann geh.
Lass deinen Hund nicht an strategischen Orten liegen, wo er bemerkt wer sich wohin bewegt. Damit erleichterst du ihm zur Ruhe zu kommen.
Evtl. Nutzt du einen festen Ruheplatz – nicht im Durchgang, nicht an Tür oder Fenster.
Wiederhole diese Routine geduldig und konsequent. Dein Hund wird lernen: „Ich muss nichts tun. Du kommst klar.“
Optional kannst du eine Hausleine am Geschirr nutzen, um ihn sanft zurückzuführen – ohne Druck, ohne Worte.
Warum kein Kommando und kein Leckerli?
Du möchtest, dass dein Hund nicht in Erwartung lebt, sondern wirklich loslässt. Ein Kommando oder ein Keks würde ihn in eine aktive Rolle bringen – genau das willst du vermeiden. Was es stattdessen braucht: Geduld, Klarheit und Beharrlichkeit.
Reflexionsübung: Was spiegelt dir dein Hund?
Diese Übung lädt dich ein, die Beziehung zu deinem Hund als Spiegel deiner inneren Welt zu betrachten. Sie basiert auf dem Prinzip, dass wir – wie Hunde – aus verschiedenen Anteilen bestehen. Manche sind ruhig und klar, andere ängstlich, überfordert oder kontrollierend. Im System der inneren Familie (IFS) nennen wir sie „Teile“.
Wenn dein Hund dich kontrolliert, reagiert er oft auf einen Teil in dir, der selbst nicht ganz sicher ist. Vielleicht ein inneres Kind, das Angst hat, verlassen zu werden. Oder ein innerer Antreiber, der alles perfekt machen will. Dein Hund spürt diese Unruhe – und übernimmt.
Teil 1: Beobachten
Folgt dir dein Hund in der Wohnung? Wann besonders?
Reagiert er unruhig, wenn du den Raum verlässt?
Fordert er Nähe aktiv ein?
Legt er sich oft auf deine Füße oder blockiert deinen Weg?
Wie verhält er sich draußen? Führt er oder folgt er?
✍️ Notiere typische Situationen und dein Gefühl dabei.
Teil 2: Innere Anteile erkennen
Lies die folgenden Aussagen und spüre, welche inneren Stimmen oder Gefühle sich zeigen:
„Ich muss alles richtig machen.“ → Antreiber-Teil
„Ich darf niemanden enttäuschen.“ → Anpasser-Teil
„Ich bin allein nicht sicher.“ → Verletzter Kind-Teil
„Ich muss immer verfügbar sein.“ → Helfer-Teil
„Wenn ich nichts tue, bin ich wertlos.“ → Leistungs-Teil
✍️ Welche dieser inneren Teile sind bei dir aktiv, wenn dein Hund dich begleitet oder kontrolliert?
Teil 3: Beruhigen statt bekämpfen
Im IFS geht es nicht darum, Anteile zu verdrängen – sondern sie liebevoll zu beruhigen. Du kannst innerlich mit ihnen sprechen, etwa so:
„Danke, dass du mich beschützen willst. Ich sehe dich.“
„Du darfst dich ausruhen. Ich übernehme jetzt.“
„Ich bin erwachsen und kann für mich sorgen.“
Wenn du dich selbst beruhigst, beruhigt sich auch dein Hund. Denn er reagiert nicht auf deine Worte – sondern auf deine innere Haltung.

Teil 4: Neue Impulse für dich und deinen Hund
Wähle 2–3 Impulse, die du in den nächsten Tagen bewusst umsetzen möchtest:
Ich bewege mich durch die Wohnung ruhig und selbstständig.
Ich verlasse Räume kommentarlos – ohne Schuldgefühl.
Ich ignoriere abforderndes Verhalten freundlich, aber klar.
Ich schenke meinem Hund einen festen Ruheplatz – und mir selbst inneren Raum.
Ich beruhige meine inneren Anteile, bevor ich reagiere.
Ich vertraue darauf, dass mein Hund mich nicht kontrollieren muss, wenn ich mich selbst führe.
✍️ Formuliere einen Satz, der dich in deiner neuen Haltung stärkt – z. B.: „Ich bin ruhig und klar. Mein Hund darf entspannen.“
Abschlussimpuls
Dein Hund folgt dir nicht, weil er dich liebt – sondern weil er glaubt, du brauchst ihn. Wenn du ihm zeigst, dass du dich selbst führen kannst, wird er dir endlich vertrauen – und sich ganz ohne Kontrolle mit dir verbunden fühlen
Quelle zum IFS: Wenn du dich tiefer mit dem System der Inneren Familie (IFS – Internal Family Systems) beschäftigen möchtest, findest du fundierte Informationen auf der offiziellen Website des IFS Institute: 👉 IFS Institute – What is Internal Family Systems?
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